Geltungsbedürfnis – die soziale Droge

Geltungsbedürfnis – die soziale Droge


Soziale Anerkennung spielt schon im Kindesalter eine große Rolle: Haben wir gute Noten, so ist uns der Respekt von Lehrern und Eltern sicher; bringen wir Höchstleistungen im Sportverein zustande, so erwerben wir Medaillen und das Lob unserer Mitmenschen; Besitzen wir einen Doktor- oder Professorentitel, sind Karrieresprünge und Führungspositionen fast garantiert. Fehlt es uns aber an sozialer Geltung, dann wird das Leben meist schwieriger und wesentlich härter. Um es kurz zu sagen: Soziale Anerkennung ist wie eine Droge! Sie macht uns so glücklich, dass wir fast alles tun, um sie zu erlangen. Lügen, Aggressionen, extreme Anstrengung bis zur Selbstaufgabe, Unterordnung und prahlerisches Herumstolzieren – lauter Seiten derselben Medaille. Lauter Methoden, um die Anerkennung der Mitmenschen zu erlangen. Das Ziel dabei ist immer das gleiche: Wir wollen als Person wahrgenommen und bestätigt werden. Doch warum ist uns das so wichtig? Und ist dieses Bedürfnis überhaupt gut für uns?

Grundlage der Persönlichkeits-Entwicklung

Soziale Anerkennung ist ein Grundbedürfnis des Menschen, wie das nach Essen und Trinken – ohne sie ist es kaum möglich zu existieren. Das macht sich schon in der ersten Sekunde unseres Lebens bemerkbar: Denn der erste Schrei oder das erste Lächeln soll Kontakt zu den Eltern aufbauen. H.-J. Wirth, Professor für Sozialpsychologie an der Universität Frankfurt, erklärt dieses Phänomen folgendermaßen: „Das Kind nimmt Kontakt auf, es will gesehen und gespiegelt werden. Nur im Austausch mit anderen entwickelt der Mensch seine Identität, Eigenschaften und Persönlichkeit. Alles, was in uns vorgeht, ist irgendwie auf unser Umfeld bezogen.“

Davon zu unterscheiden ist der Geltungsdrang bzw. die Geltungssucht: Hier handelt es sich nämlich um ein übersteigertes Bedürfnis nach Anerkennung, das aus dem Versuch resultiert, die eigenen Minderwertigkeitsgefühle auszugleichen. Umgangssprachlich steht der Begriff „Profilneurose“ für dieses Phänomen: Er wird in der Regel für Personen gebraucht, die ihre Kompetenz ständig unter Beweis stellen müssen. Auf Wikipedia findet sich sogar ein klassisches Beispiel für Geltungsdrang: In der Antike versuchte Herostratos einen unsterblichen Namen zu erlangen, um in die Geschichtsbücher einzugehen. Was tat er also? Er setzte den Tempel der Artemis in Ephesos, eines der Sieben Weltwunder, in Brand und zerstörte so das Heiligtum. Bei seiner Hinrichtung erfuhren die Richter von seinem aberwitzigen Plan: Daraufhin verkündete man Herostratos noch vor seinem Tod, dass sein Name niemals wieder ausgesprochen werden würde.

Physische Komponenten: Anerkennung wirkt wie eine Droge

Das Interessante dabei: Der Bereich unseres Gehirns, der uns soziale Anerkennung so schmackhaft macht, ist derselbe, der manche Menschen süchtig nach Drogen macht. Es handelt sich um einen Trakt in der Mitte des Gehirns, der den Botenstoff Dopamin ausschüttet. Dopamin löst in uns Gefühle von Glück und Stärke aus, wie sie für einen Rausch kennzeichnend sind. Der Medizinprofessor Joachim Bauer aus Freiburg erforscht schon seit vielen Jahren den menschlichen Wunsch nach Anerkennung. Im Gespräch mit Zeit online meint er dazu: „Neurobiologische Studien zeigen, dass nichts das Motivationssystem so sehr aktiviert, wie von anderen gesehen und sozial anerkannt zu werden.“ Allein ein freundlicher Blick oder ein kurzes Lob genügen schon, damit die Nervenzellen Botenstoffe ausschütten, die uns entspannen und Freude auslösen: Das sind neben Dopamin noch andere Stoffe wie körpereigene Opiate und Oxytocin. Je stärker das Signal, desto mehr Botenstoffe setzen wir frei.

Stellen Sie sich das einmal vor: Haben wir auch noch starke Gefühle für jemanden wie in der Liebe, dann explodiert die Freisetzung an Glückshormonen regelrecht – das gleiche gilt übrigens für den Orgasmus. „Unser Gehirn giert nach Anerkennung“ so Professor Bauer weiter. „Alles, was wir tun, steht im Dienste des tiefen Wunsches nach guten zwischenmenschlichen Beziehungen.“

Woher kommt das Bedürfnis nach sozialer Geltung?

Laut vieler Experten ist der Grund unserer sozialen Bezogenheit in der menschlichen Evolutionsbiologie zu finden. Ab einem gewissen Zeitpunkt musste sich der Mensch im Nahrungswettbewerb gegen andere Primatenarten behaupten. Dazu wich er auf eine Nische aus: Die Jagd auf größere Säugetiere. Alleine hatte man aber keine Chance, die Hilfe anderer Menschen wurde überlebenswichtig. Mit dieser Entwicklung kam auch das Bedürfnis auf, in einer Gruppe zu funktionieren und von dieser angenommen zu werden. Sonst wären die Jagd und das Überleben des Einzelnen nicht mit Erfolg gekrönt.

Darum verspüren wir nun soziale Ausgrenzung als Existenzbedrohung. „Bei Personen, die gegen ihren Willen dauerhaft isoliert sind, verkümmert das Motivationssystem“, erklärt Joachim Bauer. „Sie verlieren alles Interesse am Leben, haben keinen Appetit mehr und werden krank.“ Mit krank ist aber nicht unbedingt eine körperliche Erkrankung gemeint, sondern eine psychische: „Wenn die Gesellschaft versagt, indem sie Einzelne diskriminiert, drohen vor allem bei Jugendlichen schlimme Ersatzlösungen. Terrorgruppen und Rechte grasen auf diesem Feld: Sie suchen nach den jungen, vereinsamten Seelen, die ausgeschlossen sind.“

Welche Art von Geltungsbedürfnis ist normal?

Pauschal ist das nicht zu beantworten. Wie weit Menschen für ihre Anerkennung gehen und welche Art sie bevorzugen, hängt stets vom Einzelnen ab. Der Hintergrund ist immer in den jeweiligen Erfahrungen zu suchen, die ein Mensch in der Jugend gemacht hat. Je nach dem reagiert das Motivationssystem nämlich stärker oder schwächer auf ein und dieselbe Bestätigung. Dass die ersten Erfahrungen unseren Wunsch nach Anerkennung prägen, zeigten Forscher der University of Wisconsin: Sie testeten vierjährige Kinder, die Hälfte davon hatte die ersten Lebensmonaten im Waisenhaus verbracht. Im Heim waren die Kinder zwar gefüttert und gewickelt worden, aber andere Zuwendung wurde ihnen nicht zuteil. Später kamen sie in amerikanische Pflegefamilien. Die andere Hälfte der Test-Kinder wuchs im Elternhaus auf und hatte eine gute Beziehung zu den Eltern. Die Wissenschaftler untersuchten nun, wie die Kinder auf körperliche Anerkennungsgesten reagierten, beispielsweise ein Streicheln über den Kopf oder ähnliches. Normalerweise erzeugt solch eine Zuwendung Glücksgefühle in uns, festzustellen durch die Ausschüttung von Botenstoffen im Gehirn. Die Test-Gruppen wiesen aber erhebliche Unterschiede auf: Die Gehirne der Kinder, die zuerst im Heim untergekommen waren, reagierten auf die Zuwendung viel schwächer als die anderen, die im Elternhaus aufgewachsen waren.

Nicht nur die Reaktion auf Anerkennung, sondern auch die Art der Anerkennung, auf welche wir reagieren, fällt höchst unterschiedlich aus – eben nach unserem Erfahrungshorizont. Einige Kinder, die für ihre Leistungen gelobt werden, fühlen sich auch im späteren Leben nur wertvoll, wenn sie Erfolg haben. Wieder andere lernen, dass sie nur beliebt sind, wenn sie schön sind oder sich um Mitmenschen kümmern.

Nun könnten Sie den Eindruck gewinnen, dass wir nichts gegen diesen unterbewussten Wunsch nach Anerkennung tun können. Doch unmündig sind wir nun auch wieder nicht. Wer sich viel mit Selbstzweifeln quält, der kann versuchen, seine subjektive Haltung zu verändern und wohlwollender gegenüber sich selbst zu werden. So kann man sich ein Stück weit davon emanzipieren, es immer allen recht machen zu wollen und von der Anerkennung anderer abhängig zu sein.

 

Bild: © Prostock-studio – stock.adobe.com