Eustress und Disstress: Ist guter Stress wirklich anders als schlechter Stress?

Eustress und Disstress: Ist guter Stress wirklich anders als schlechter Stress?

Der Stress hat es wirklich nicht leicht. Denn als die Evolution den Stress dem Menschen schenkte, war er eine überlebenswichtige blitzschnelle Reaktionsmöglichkeit für Körper und Seele. In Bruchteilen von Sekunden versetzte der Stress das im Alarmzustand befindliche Individuum in die Lage, mit guten Erfolgsaussichten wahlweise die Konfrontation im Kampf oder das Heil in der Flucht zu suchen. Doch heute, da wir nicht mehr vor mächtigen Fressfeinden davonlaufen oder unser Revier gegen feindliche Übernahmeabsichten verteidigen müssen, scheint der Stress als archaisch überkommenes internes Aufputschmittel nur noch für die Entstehung physischer und psychischer Schäden zu taugen. Immerhin gesteht man dem Stress noch eine Differenzierung in Eustress (guter Stress) und Disstress (schlechter Stress) zu, was für den Stress allgemein zumindest eine teilweise Rehabilitation bedeutet. Doch ist die Unterscheidung zwischen Eustress und Disstress überhaupt sinnvoll? Und wie kann man das mentale Spielchen „guter Stress, böser Stress“ clever zu den eigenen Gunsten ausgehen lassen?

Wie der Stress das Überleben sichert

Werfen wir einmal mit den Augen eines Physiologen einen wissenschaftlich geleiteten Blick auf den Sinn und Zweck von Stress. Das wird zum einen das Verständnis für kurz- und langfristige Auswirkungen von Stress auf den Organismus fördern, und zum anderen die – durchaus psychologisch willkürliche – Unterscheidung zwischen Eustress und Disstress kognitiv vorbereiten.

Wird ein Säugetier vital bedroht, so hat es nur dann eine Überlebenschance, wenn es mit messerscharfen, wachen und perfekt fokussierten Sinnen sowie einer optimal durchbluteten Skelettmuskulatur entweder kämpfen oder flüchten kann. Außerdem sollte bei einer drohenden Verletzung möglichst wenig Blut fließen und kein lähmender Schmerz verspürt werden. Niedere Bedürfnisse wie Fortpflanzung oder Stuhlgang würden sich in einer brenzligen Situation ebenfalls fatal auswirken. Deshalb sorgt das Reaktionsmuster Stress zuverlässig und ohne Verzögerung unter anderem für die folgenden körperlichen Veränderungen:

  • Abzug des Blutes aus der Haut; Zufluss des Blutes zum Gehirn, in sämtliche Sinnesorgane sowie in die Muskeln. Das Herz-Kreislaufsystem wird unter Stress ans obere Belastungslimit hochgefahren, die Gefäße bauen Druck auf.
  • Schlagartiger Verlust von Appetit, Verdauungstätigkeiten und erotischem Verlangen.
  • Adrenalin flutet den gesamten Organismus. Der Geist konzentriert sich voll auf die Bedrohungssituation. Alles andere, auch die Schmerzwahrnehmung, wird unter dem Stress bedingten Adrenalinschub ausgeblendet und entgeht der Wahrnehmung.

So weit, so gut vorbereitet. Die anschließenden unausweichlichen Aktionen werden den Stress Zustand über eine extreme körperliche Aktivität auf ganz natürliche Weise abbauen. Was passiert aber dem zivilisierten Menschen, der in gefühlter Bedrängnis zwar noch regelmäßig das volle Stress Programm hochfährt, es aber nicht mehr abspulen kann? Er wird wohl oder übel die Spätfolgen von Stress zu spüren bekommen:

  • Chronische Durchblutungsstörungen nebst Bluthochdruck
  • Verschleißerscheinungen am Herzen und am Gefäßsystem
  • Schlaflosigkeit, Gewichtsprobleme, Hartleibigkeit und Sexualfunktionsstörungen
  • Depressive Zustände über das Konzept der erlernten Hilflosigkeit

Dabei macht der Körper selbst absolut keinen Unterschied zwischen Eustress und Disstress. Für den Organismus heißt es grundsätzlich nur: Alarmstufe Rot, Kampfstand besetzen, alle Systeme einsatzbereit.

Wer unterscheidet dann aber zwischen Eustress und Disstress?

Das machen einzig und ausschließlich unsere individuellen mentalen Einstellungen und gefestigten persönlichen Glaubenssätze. Denn abgesehen von den wenigen Situationen, in denen objektiver Stress notwendigerweise als schlechter Stress mit unmittelbarem Handlungsbedarf pariert werden muss, steht es dem modernen Menschen völlig frei, ob er als einzigartiges Individuum Stress als Eustress oder Stress als Disstress interpretieren will. Das verdeutlicht das Beispiel Bungee-Springen. Diese Extremsportart löst Stress pur aus. Doch während der eine als überzeugter Adrenalinjunkie den starken Stress subjektiv als angenehm und damit als erstrebenswerten Eustress wahrnimmt, würde sich ein anderer, der hier hochgradig bedrohlichen subjektiven Disstress erlebt, nicht für alles Geld der Welt in die Tiefe stürzen. Und selbst Schmerz kann von praktizierenden Masochisten als lustvoll besetzter Eustress erlebt werden, obwohl er von den meisten Menschen wohl eher als Disstress aktiv gemieden wird.

Lässt sich Disstress in Eustress umwandeln?

Zum Glück ja. Denn dadurch, dass Disstress und Eustress lediglich erworbene Mentalkonzepte widerspiegeln, während die physiologische Ausgangsbasis jeweils identisch ist, kann man durch gezieltes kognitives Umstrukturieren im besten Fall seinen Disstress lieben und dadurch in Eustress überführen lernen. Oder doch wenigstens dem gefühlten Disstress den hineininterpretierten Schrecken nehmen. Dazu taugen diverse psychologische Therapiemethoden wie beispielsweise NLP, aber auch die klassischen Meditations- und Entspannungstechniken. Und auch naturheilkundliche phytopharmazeutische Produkte aus der Apotheke zur Beruhigung bzw. Stimmungsaufhellung können helfen, den ungeliebten Disstress in positiv enpfundenen Eustress umzuwandeln.

 

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